Am Samstag, dem 17. Mai 2014, lieferte die Wiener Polizei neuerlich den Beweis, dass sie beim Schutz rechter bis rechtsextremer Kundgebungen von Anfang an gewaltsam vorgeht und bei Gewalttätigkeiten von Gegendemonstranten nicht versucht, zu de-eskalieren, sondern diese benützt, um hinterher die eigene Gewalt zu rechtfertigen. Dass sich das Gerücht, eine der misshandelten Demonstrantinnen habe eine Fehlgeburt erlitten, als unrichtig erwies, ist für die Polizei der Beweis, dass alle in Fotos, Videos und zahlreichen Zeugenaussagen dokumentierten Übergriffe haltlose Beschuldigungen seien. Auch diesmal versuchte die Polizei, die Berichterstattung zu beeinflussen und JournalistInnen daran zu hindern, das Vorgehen der Exekutive aus der Nähe zu beobachten.
Der KZ-Verband Wien fordert eine unabhängige Untersuchung und die Abberufung der Verantwortlichen, die schon für die Eskalation der Gewalt bei der Kundgebung gegen den „Akademiker“-Ball im Jänner 2014 verantwortlich waren.
An diesem Samstag hatte eine neue rechtsextreme Gruppierung ihren Auftritt in Wien: Die „Identitären“. Das Besondere an dieser Gruppierung erklärte der Experte für Weltverschwörungstheorien und neue rechte Bewegungen Roman Schweidlenka, Sektenbeauftragter des Landes Steiermark, in einem Gespräch mit der Tageszeitung „Der Standard„: Die Rechtsradikalen seien heute nicht mehr unbedingt an Glatze und Uniformen erkennbar, „Aktionsformen und Outfit klauen sie sich von den Linken, das ist nicht neu, das gab es schon in der NS-Zeit, als Nazis linke Arbeiterrituale übernahmen und ihre Ideologie hineinstopften. Heute gibt es Rechtsextreme mit langen Haaren und Palästinenserschal auch, das machen die ganz bewusst so.“
Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl („Offensive gegen Rechts“) hat vor kurzem gemeinsam mit Kathrin Glösel und Julian Bruns das Buch „Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa“ herausgebracht. Bei der Buchpräsentation am 7. Mai an der Grazer Universität haben sich, wie sie auf ihrer Web-Site berichtete, rund ein Dutzend „Identitäre“ gewaltsam Zutritt zum Veranstaltungsraum verschafft. Die herbeigerufene Polizei sei sehr freundlich gewesen und habe die Störaktion ernst genommen, ebenso der Verfassungsschutz. Auf diese Weise war es möglich, die „Identitären“ aus dem Saal zu befördern bzw. in einen neuen umzuziehen, wo die Veranstaltung schließlich mit eineinhalb Stunden Verspätung beginnen konnte. In Wien hingegen, sagte sie in einem „Standard„-Interview, fühle sie sich „nicht so ernst genommen.“ Hier wurde ihre Küchenfensterscheibe mit einem Luftdruckgewehr beschossen, die „Identitären“ machten sich auf ihrer Web-Site darüber lustig, dass die Polizei keine Patronen fand.
In Wien wurde am 17. Mai die Kundgebung von rund 100 „Identitären“ durch ein Großaufgebot von rund 500 Polizisten vor den 400 TeilnehmerInnen einer Gegendemonstration beschützt, die von der „Offensive gegen Rechts“ angemeldet war. Die Übergriffe von Demonstranten (darunter Steinwürfe) gegen die Polizisten, die sich zu einem späteren Zeitpunkt ereigneten, sind zu verurteilen, machen aber die in einer Fülle von Augenzeugenberichten belegten Polizeibrutalitäten gegen die TeilnehmerInnen an der antifaschistischen Gegendemonstration nicht ungeschehen. Außerdem fragt man sich, warum die mit gewaltiger Übermacht ausgerückte Polizei diese Gewalttaten einzelner Demonstranten (gegen die die Polizisten durch ihre Schilde gut geschützt waren) zwar filmen konnte, aber nicht in der Lage war, sie zu verhindern. Der Verdacht, dass hier (nicht zum ersten Mal!) durch den Einsatz von Provokateuren versucht wurde, die Öffentlichkeit zu desinformieren und die friedlichen TeilnehmerInnen zu kriminalisieren, steht im Raum, zumal seitens der Polizei das gewaltlose Hinsetzen auf eine Straße („Sitzblockade“) mit dem Einsatz von Steinschleudern und Pflastersteinen auf eine Stufe gestellt wurde.
Zur Desinformationspolitik der Polizei gehört auch die Behauptung, ein Geschäftslokal, in dem ein gringfügiger Schaden verursacht wurde, sei „verwüstet“ worden. In einer TV-Konfrontation zwei Tage später von einer Journalistin darauf angesprochen, wie eine „Verwüstung“ aussehe, deren Schaden nicht mehr als 200 Euro betrage, verweigerte Oberst Johann Golob, Pressechef der Bundespolizeidirektion Wien, die Antwort. Da Polizeibeamten sich in der Regel gesetzwidrig weigern, die Dienstnummer bekannt zu geben, verlangten die Grünen, das Tragen der Nummer auf der Uniform, das in zahlreichen Staaten üblich ist, auch in Österreich einzuführen. Innenministerin Mikl-Leitner erklärte darauf, sie sei nicht bereit, die Polizei mit „Nummerntafeln“ zu kennzeichnen, die es ermöglichen würden, dass „einzelne Beamte und Beamtinnen vernadert werden“. Dass die FPÖ-Gewerkschaft AUF forderte, statt der Polizisten Demonstranten zu kennzeichnen, ist wohl ein verspäteter schlechter Faschingsscherz. Der – von der Polizeigewerkschaft umgehend abgelehnte – Vorschlag von Mikl-Leitner, Polizisten bei derartigen Einsätzen mit automatisch filmenden Videokameras auszurüsten, um die Dokumentation zu objektivieren, erscheint hingegen diskutierenswert.
Am Mittwoch, 28. Mai, wird der KZ-Verband Wien im Rahmen seines monatlichen Treffens die verschiedenen Aktionsformen des Antifaschismus heute sowie den Umgang mit Polizeigewalt und Kriminalisierung von öffentlichem Protest diskutieren. (18.00 bis 19.30 Uhr, Lassallestr. 40/2/2/6)
LINKS:
Stellungnahme der Offensive gegen Rechts
Stellungnahme der Sozialsprecherin der Grünen, Birgit Hebein
Stellungnahme der Wahlplattform Europa Anders
Stellungnahme der Kommunistischen Gewerkschaftsinitiative
Erlebnisbericht eines Mitglieds der Sozialistischen Jugend Wien-Hernals
Bericht der Österreich-Ausgabe des kanadisch-britischen Polit-Magazins „Vice“
Bericht der Wiener Tageszeitung „Der Standard“ vom 19.5.2014 („Über hundert Anzeigen und Kritik am Vorgehen der Polizei: Grüner Albert Steinhauser fordert Kennzeichnungspflicht für Beamte, bekannter Rechtsextremist Reinthaler Seite an Seite mit Identitären„)