Stellungnahme zum Urteil gegen 6 Antifaschist:innen vom 20. Oktober 2022
2020 kam es bei drei Demonstrationen gegen die rechtsextremen Identitären zu kleineren Auseinandersetzungen, wie einer Ohrfeige oder einem Handgemenge – nicht ungewöhnlich bei politischen Aktionen. Das reichte der österreichischen Polizei und Staatsanwaltschaft wohl, um gegen sieben Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Demonstrationen Anklage wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Sprengung einer Versammlung, Sachbeschädigung und Körperverletzung zu erheben. Von Anfang an war erkennbar, dass es sich hier um einen politischen Prozess handelt, obwohl die Richterin dies verneint – bereits durch die überzogenen und unverhältnismäßigen Ermittlungsverfahren gegen die Antifaschist:innen. Sie wurden nicht nur monatelang polizeilich beobachtet, sondern auch auf offener Straße, in der U-Bahn oder auf dem Arbeitsplatz brutal festgenommen oder durch die Cobra – bewaffnet mit Sturmgewehren – für eine Durchsuchung zuhause besucht. Überzogen war das deswegen, weil sogar der bei den Auseinandersetzungen anwesende Polizist nicht genau gesehen hat, ob die Angeklagten tatsächlich gewalttätig waren. Überzogen auch, weil man sich nicht vorstellen kann, dass eine Bürgerin oder ein Bürger aufgrund einer Ohrfeige monatelang beschattet und schwer bewaffnet untersucht wird. 2020 gab es im Allgemeinen viele linke Proteste, bei denen es zu massiver Repression seitens der Polizei und Justiz kam. Bei antifaschistischen und linken Protesten wird jede Gelegenheit genutzt diese zu kriminalisieren.
Das ist seit 2014 traurige Routine in Österreich geworden. Angefangen hat es mit dem ‚Fall Josef S.‘. Der Student aus Jena wurde wegen des Aufstellens eines Mülleimers zu 12 Monaten verurteilt. Er hatte davor 4 Monate in Untersuchungshaft gesessen und wurde wegen Landfriedensbruch, Körperverletzung und Sachbeschädigung angeklagt. Dabei waren die Beweise sehr mager, und die Angeklagten wurden aufgrund von Kleidungsstücken „überführt“ – Kleidungsstücken aus Massenproduktion. Dabei verzetteln sich die Polizisten bei ihren Aussagen oder widersprechen ihren Kollegen.
Das sind jedoch bei weitem nicht alle Fälle: Dutzende kleinere Gerichtsverfahren und Anzeigen gab es in der Zwischenzeit gegen einzelne Antifaschist:innen – von der Polizeigewalt gar nicht zu reden. Doch die Repressalien betreffen auch Klimademonstrationen, Tierrechts-organisationen und Fußballfans – Strukturen, die stark mit der linken Szene verwoben sind. Einer der absurderen Fälle war eine Verurteilung zu einer Geldstrafe aufgrund des „Anfurzens“ eines Polizisten. Doch über Beweiswürdigung zu diskutieren, ist im Fall eines politischen Prozesses hinfällig – das Urteil ist bereits vorher gefallen. So äußern sich auch Prozessbeobachter, Anwälte und Politiker:innen.
Der politische Charakter, dem die österreichische Justiz und Polizei hier folgt, zeigt sich ebenfalls auf der anderen Seite des aktivistischen Spektrums: Rechtsextreme Proteste werden von der Polizei geschützt, und Prozesse gegen Rechtsextreme oder gewalttätige Polizisten gehen in den seltensten Fällen mit einer Verurteilung oder einem hohen Strafmaß aus. Rechte Demonstrationen und solche von Corona-Leugnern erfahren kaum Polizeigewalt. Aber weder Polizei noch Justiz wurden tätig bei den Morddrohungen gegen Frau Dr. Lisa-Maria Kellermayr. Ebenso schockierend aber dem politischen Charakter entsprechend ist der Fall jenes Unteroffiziers, der in SS-Uniform spazieren ging: Bei der letzten Verurteilung erhielt er 10 Monate, durfte jedoch damit seine Anstellung beim Militär behalten.
Das hier sichtbare Muster zeichnet sich deutlich ab: Österreichs Polizei und Justiz sind am rechten Auge blind und gehen gleichzeitig gegen linke und antifaschistische Bewegungen scharf vor. Diese Entwicklung startete bereits mit den Reformen unter Schwarz-Blau 1 ab dem Jahr 2000: Der Staat und seine Organe unterliegen einem starken Rechtsruck. Das ist eine undemokratische Entwicklung, die sich besonders unter dem Aspekt der weltweiten Krisen verdächtig gefährlich anfühlt. Bereits lange schreien Opfer- und Widerstandsverbände: Wehret den Anfängen! Zwar waren die Strafen zu austrofaschistischen Zeiten viel drastischer – jahrelange Kerkerstrafen oder Hinrichtungen – doch das Schema war das gleiche: Auch damals waren Justiz und Polizei geneigt, linke Bewegungen härter zu behandeln und zu verurteilen als rechte und faschistische Machenschaften – unter ebenso unvorstellbar absurden Gerichtsverfahren wie heute.
Und so müssen sechs der sieben Antifaschist:innen eine Strafe von 5 Monaten – eine Person sogar 14 Monate bedingt – aus politischem Kalkül ertragen, stellvertretend für alle Antifaschist:innen. Es ist daher unsere Aufgabe; gemeinsam gegen den Rechtsruck mit aktivem Antifaschismus und demokratischem Protest zu antworten und uns nicht einschüchtern zu lassen! Niemand ist frei, bis alle frei sind.