Rudi Burdas Tagesgedichte zur Gedenkstätte in Hadersdorf am Kamp

Legitimation (21. Dezember 2017)

Auf dem Anger in Hadersdorf am Kamp
steht ein Kriegerdenkmal, auf dem
die Namen der Gefallenen des Ortes
im Zweiten Weltkrieg aufgelistet sind.

Von diesen Toten können jene
als Opfer des Faschismus gelten,
die keine andere Wahl hatten, als
an den Raubzügen der Wehrmacht teilzunehmen.

Sicher aber waren alle
wissentlich oder unwissentlich
Täter und Mittäter, weil sie
an den Raubzügen der Wehrmacht teilnahmen.

Das Auflisten der Namen sowie das gewissenhafte
Instandhalten des Denkmals geschah und geschieht
nach gültigem Gemeinderatsbeschluss,
also demokratisch legitimiert.

An der Friedhofsmauer in Hadersdorf am Kamp
hingen drei Monate lang zwei Tafeln
mit Namen und Todesursachen von 61 Menschen,
die an dieser Stelle am 7. April 1945 von SS ermordet wurden.

Vielleicht können nicht alle von ihnen,
entlassene Häftlinge aus dem nahen ‚Zuchthaus‘ Stein,
als Widerstandskämpfer gegen den Faschismus gelten,
von 38 wissen wir nicht einmal die Namen.

Sicher aber war von ihnen, soviel wissen wir,
kein einziger deshalb inhaftiert, weil er
an den Raubzügen der Wehrmacht teilnahm
oder sie auch nur billigte.

Das öffentliche Anbringen der Tafeln wurde in einer
nicht öffentlichen Sitzung des Gemeinderats
als nicht angebracht bezeichnet. Deshalb
mussten sie, demokratisch legitimiert, entfernt werden.

An diese 61 Ermordeten soll laut Gemeinderatsbeschluss
nicht durch Nennung der bekannten Namen erinnert werden
und nicht durch Nennung der Todesursachen,
zumindest nicht am Ort des Verbrechens.

In was für einem Licht stehen jetzt die Demokraten
in der Gemeindestube von Hadersdorf da? Wer fühlt sich hier
durch welchen Beschluss von welcher Seite
zur Missachtung der Menschenwürde legitimiert?

Angenommen (27. Dezember 2017)

Angenommen, ein Großvater oder sonstiger Verwandter von mir
wäre am 7. April 1945 dabei gewesen als Augenzeuge,
als 61 entlassene Häftlinge in Hadersdorf am Kamp ermordet wurden,
oder als widerwilliger Helfer oder eilfertiger Mittäter;

und angenommen, er wäre froh gewesen, beim Prozess 1947
nicht aussagen zu müssen oder gar verurteilt zu werden, und hätte
jahrelang darüber geschwiegen und gehofft, dass schon irgendwie
Gras drüber wachsen würde;

und angenommen, er hätte dann doch irgendwann einmal
im Familienkreis oder am Stammtisch des Kameradschaftsbunds
beiläufig erwähnt, wie sich die SS-ler damals aufgeführt hätten,
und bedauert, dass die wahren Schuldigen leider nicht gefasst wurden;

oder angenommen, er hätte erklärt, dass die Häftlinge dort
sicher nicht grundlos eingesperrt worden waren,
und dass man darüber auch in einem Rechtsstaat wie dem unseren
nicht einfach hinwegsehen könnte;

oder angenommen, er wäre nur prinzipiell der Auffassung,
dass man etwas vergessen könnte, solang nicht
darüber geredet wird, und dass etwas verziehen werden kann,
was öffentlich nie thematisiert wurde;

oder auch nur angenommen, ich müsste,
da ich ja nichts Näheres weiß, befürchten,
dass diesem Großvater oder sonstigen Verwandten jetzt,
über 70 Jahre später, am Zeug geflickt werden könnte;

dann würde ich vielleicht Genugtuung darüber empfinden,
dass die Gedenktafeln mit 23 Namen von Ermordeten
und den amtlich erhobenen Todesarten
per Gemeinderatsbeschluss wieder abmontiert wurden;

und dann wäre ich vielleicht insgeheim erfreut,
dass diese antifaschistischen Berufsdemonstranten, diese
selbsternannten Gutmenschen, die Anwaltsspesen
und Arbeitskosten auch noch berappen müssen;

und dann hätte ich womöglich selber, klammheimlich,
aber nicht ohne Stolz auf meinen Mut,
eine der 61 roten Rosen abgeknickt, die diese Unruhestifter
vor Weihnachten an der Friedhofsmauer niederlegten.

Die genannten Überlegungen und Beweggründe
sind keine Behauptungen oder Unterstellungen, sondern Versuche,
hinter den jüngst in Hadersdorf gesetzten Handlungen
irgendeinen Sinn zu finden.

Denkbar sind auch noch andere Annahmen,
aber in demokratischem Sinn sind sie genauso
unannehmbar.