Der KZ-Verband und die Gruppe 40 am Wiener Zentralfriedhof
Rede von Willi Weinert anlässlich des alljährlichen Gedenken an die Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer in der Gruppe 40 am Wiener Zentralfriedhof
Vielleicht wird jemandem unter ihnen schon in den letzten 20 Jahren aufgefallen sein, dass in verschiedenen Zusammenhängen, bei denen es um die Geschichte Österreichs zwischen 1938-1945 geht, behauptet wird, dass Österreich sich nach 1945 als Opfer des NS-Regimes dargestellt hat.
Wahr sei aber, so behaupten die Apologeten dieser Opfer-Täter-Doktrin, dass Österreich nicht Opfer sondern ein Volk von Tätern war.
Es ist bemerkenswert, dass, wenn wieder einmal dieser Unfug behauptet wird, nicht einmal in einem Nebensatz die Rede darauf kommt, dass tausende Österreicher und Österreicherinnen Opfer des Naziregime wurden, weil sie aktiven Widerstand dagegen geleistet haben.
Wir stehen hier in der Gruppe 40, wo mehr als 600 dieser Opfer liegen, Menschen, die also keine Täter waren. Und die Geschichte dieses größten Erinnerungsortes in Österreich spiegelt zwei Dinge wider:
Zum einen die Tatsache, dass hier hunderte Widerstandskämpfer begraben wurden, und Zeugnis davon ablegen, dass diese Opfer-Täter-Doktrin ein faktenbefreites Konstrukt ist, und zum anderen, dass der Umgang des sogenannten offiziellen Österreichs mit diesem Gedenkort fragen lässt, wieso es sein kann, dass man seit 1945 einen so sträflichen Umgang mit dieser Gruppe 40 pflegte, wenn doch nach der Opfer-Täter-Doktrin die Opfer so in den Vordergrund gekehrt worden sein soll?
Das passt irgendwie nicht zusammen.
Wie mit der Opfergruppe und ihren Angehörigen durch den österreichischen Staat nach 1945 umgegangen ist, ist wenig bekannt. Trotz eines Opferfürsorgegesetzes waren sie, die Witwen und Waisen im Bewusstsein der naziverseuchten Gehirne vieler Österreicher letztlich die Angehörigen von Verrätern, die – ihrer Meinung nach – den kämpfenden Soldaten an der Front in den Rücken gefallen sind. Sie waren mit denselben Formulierungen konfrontiert, wie sie schon in den Todesurteilen gegen ihre Angehörigen zu lesen waren. Und es waren keine Einzelfälle, dass jene, die wegen ihrer erlittenen Verfolgung in der Nazizeit Anspruch auf den sogenannten ’Opferausweis‘ hatten, darauf verzichteten. Zu groß war der in der Mehrheitsbevölkerung vorhandene Neid und das Unverständnis, sodass diese Menschen sich nicht mit der einhergehenden Ausgrenzung konfrontieren wollten. Man verzichtete auf die ihnen gewährten Vergünstigungen, in denen die Mehrheitsbevölkerung ’Privilegien‘ vermuteten.
Die Gruppe 40 rückt mehr ins Bewusstsein
Und auch der Umgang mit dieser Gruppe 40 zeigt – sieht man von der ersten Gedenkfeier am 1. November 1945 ab, wo hier Politiker aller drei demokratischen Parteien der Opfer gedachten –, dass für das offizielle Österreich dieser Gedenkort gut 60 Jahre nicht existiert hat. Erst, nachdem 2005 – auf Initiative der Arbeitsgemeinschaft der Opferverbände – die Stele im unteren Bereich der Gruppe 40 durch den Wiener Bürgermeister enthüllt wurde, und 2013 die österreichische Bundesregierung diesen Gedenkort zu einer „Nationalen Gedenkstätte“ erklärt hat, rückte deren Existenz mehr ins Bewusstsein des offiziellen Österreichs. Mehr auch nicht. Sie steht auch heute nicht auf deren Gedenkkalender.
Fehlende Gedenksteine
Als 2005 die erste Auflage des Buches „Mich könnt ihr löschen, aber nicht das Feuer“ erschien, hat sich gezeigt, dass für ca. 70 Opfer, die in der Gruppe begraben wurden, keine Gedenksteine existieren.
Warum fehlten diese?
Die Gründe dafür sind mir erst unlängst klargeworden, als ich einschlägige Archivbestände, die ich im Zuge der Vorbereitung der in Arbeit befindlichen 5. Aufgabe des Buches eingesehen habe. Auch hier zeigt sich der empathiefreie Umgang mit den sterblichen Überresten dieser Opfer der Nazibarbarei. Die Kosteneffizienz bei diesen Aktionen ist augenfällig und gleichzeitig beschämend. Man begrub hier im Zuge von Umbettungen bis zu drei Menschen in einem Schachtgrab – und in einem Sarg –, stellte aber nur einen Gedenkstein auf, der lediglich einen Namen aufwies, nicht aber die der anderen, die an der selben Stelle beerdigt worden sind – in diesem einen Sarg.
Es gibt eine Liste zu diesen Umbettungen, wo exakt angeführt ist, wie die ursprünglichen Gräber (in der Gruppe 37 oder in den beiden Reihen des gegenüberliegenden Teils der Gruppe 40) gestaltet waren, und wer darin lag. Da findet sich z.B. der Hinweis auf ein „kleines Denkmal“, doch selbiges fand bei der Umbettung nicht seinen Weg in die Gruppe 40.
Wie mag es wohl ausgesehen haben? Wohin verschwand es?
Der KZ-Verband und die Gruppe 40 am Wiener Zentralfriedhof
Da der KZ-Verband seit 1945 sich uneingeschränkt für diese Gruppe 40 als Gedenkort für die Opfer des Widerstandskampfes eingesetzt und damit die Interessen der Angehörigen der Opfer vertreten hat, war es ihm auch ein Anliegen, die noch fehlenden Gedenksteine in der Gruppe 40 aufzustellen. 2016 war der Verband bereit, die nicht unbeträchtlichen Kosten für die ersten 10 Steine zu übernehmen und die Aufstellung in die Wege zu leiten. Voriges Jahr wurden die letzten Steine aufgestellt.
Im Zuge dieser Aktivität gelang es zum einen die beiden anderen Opferverbände in das Bemühen einzubinden, und entschloss sich in der Folge auch das Innenministerium, die Gesamtkosten der Herstellung dieser fehlenden Gedenksteine zu übernehmen.
Nicht unerwähnt soll bleiben, dass mit der Gestaltung der Gedenksteine – von Stein selbst, über dessen äußere Form und der darauf befindlichen Schrift – bewusst ein Zeichen gesetzt wurde, um den Eindruck eines gleichförmigen Soldatenfriedhofs zu konterkarieren. Diese Versuche begannen schon im Zuge der Umgestaltung in der 1960er-Jahren, wo massenhaft gleichförmige Betonsteine aufgestellt wurden, setzte sich fort mit der im Jahre 2000 radikal entfernten individuellen Gräber, und gehen bis heute, wo die Friedhofsverwaltung versucht, die individuelle Bepflanzung durch einen Birkenhain zu ersetzen. Auch in dieser Richtung gab es bereits Gespräche, um dem ein Ende zu setzen.
Die Individualität der Widerstandskämpfer und Widerstandskämpferinnen darf, so sind wir felsenfest überzeugt, nicht durch die Monotonie eines Soldatenfriedhofs weggewischt werden. Auch da bleiben wir dran.
Die Aufstellung der fehlenden Gedenksteine ist abgeschlossen. Nun, nach mehr als zwei Generationen seit der Befreiung Österreichs 1945, haben alle Opfer, die hier begraben wurden, ein sichtbares Erinnerungszeichen, auf dem Namen und Daten zu lesen sind.
Wenngleich damit ein wichtiger Schritt gesetzt wurde, gibt es noch Einiges, was zu lösen ist. Es mag eigenartig klingen, aber die Ersetzung der rot-weiß-roten Fahne, dort unten, bei der Stele, durch eine Flagge mit dem österreichischen Wappen konnte bislang nicht durchgesetzt werden.
Wir sind zuversichtlich, dass das demnächst geschehen wird. Vielleicht weht sie nächstes Jahr schon am Fahnenmast die Flagge Österreichs, einer „Nationalen Gedenkstätte“ würdig.
Nicht unerwähnt soll auch bleiben, dass die Opferverbände nun mit einer eigenen Website für die Gruppe 40 vom Innenministerium befasst wurden, die den Vertrag mit dem jetzigen Betreiben aufgelöst hat. Demnächst wird sie nach der Klärung von rechtlichen Fragen in einem ersten Schritt online gehen.